Umgang mit der Messunsicherheit (MU)2009-11-08T19:34:56+01:00

QM-Forum Foren Qualitätsmanagement Umgang mit der Messunsicherheit (MU)

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  • Yoschua
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    Beitragsanzahl: 62

    Hallo zusammen,
    wir diskutieren in der Firma gerade heftigst das Thema: Messunsicherheit und wie damit bei hausinternen Kalibrierungen umgegangen wird.

    Folgedes Szenario: ich kalibriere ein Prüfmittel.
    Ich kenne meine Messunsicherheit.
    Ich kenne die Spezifikation des Prüfmittels.
    Meiner Ansicht nach muss ich die Toleranz um die bekannte Messunsicherheit verringern, wenn dann das Kalibrierergebnis noch innerhalb dieses verschärften Bereiches liegt kann ich das Prüfmittel konformgetreu frei geben.
    Denn die Kalibrierung ist eine Konformitätsbescheinigung.

    Es gibt einige Stimmen bei uns, die sagen die MU muss nur „beigestellt“ werden. Also im Prüfplan erwähnt, aber nicht berücksichtigt werden.
    Da gibt es ja die DIN EN ISO 14253-1 wo m.E. nach ganz klar gesagt wird, wie mit der MU umgegangen werden soll.
    Denn wenn meine MU mehr als die Hälfte einer Spezifikations-Toleranz auffrisst, dann kann das sehr wohl zum tragen kommen.

    Mein zusätlicher Einwand: es nützt dem betreiber gar nichts, wenn er sein Prüfmittel mit hausinternem Kal.-Zertifikat wiederbekommt und er dann selber entscheiden muss, ob das Prüfmittel für ihn noch verwendet werden darf oder nicht?
    Diese fachliche Entscheidung übernehme ich, wenn ich nach o.g. Verfahren als Abschluss meine Prüfplakette anbringe. Der Betreiber verlässt sich auf den ordnungsgemäßen Zustand, sobald er die Prüfplakette auf seinem Prüfmittel sieht.

    Ich wäre sehr an eurer Meinung mal interessiert.

    Mit freundlichem Gruß

    Yoschua

    Frank_Hergt
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 1530

    Hallo Yoschua!

    Du bringst mich gerade etwas geistig ins Stolpern…

    Ich kenne es so:

    Es gibt zum Prüfmittel eine Kalibrierprüfanweisung. In der sind Toleranzen festgelegt, wenn es die einhält, ist das Prüfmittel erst mal ok. In den Vergleich mit dem Normal während der Kalibrierung geht die Meßunsicherheit des Prüfmittels selbstverständlich ein, Du benutzt es ja dabei.

    Die Auswahl des Prüfmittels zur Meßaufgabe erfolgt aufgrund der Toleranzen des Sollwertes und der Toleranzen des Prüfmittels. Wünschenswert ist ein Verhältnis von 1:10, man mogelt sich durch bis zu 1:3. Normalerweise geht man dann davon aus, daß der mit dem Prüfmittel gemessene Wert ok ist, hat also keine separaten Vorhaltewerte.

    Das ist die Primitivversion (ich hoffe, es liest kein Profi und keine Barbara mit!). Wenn Du genauer wissen willst, ob dein Meßprozeß zu den geforderten Toleranzen paßt, mußt Du eine MSA machen. Infos dazu gibt’s im Forum reichlich (vor allem von der oben genannten Dame). Google müßte auch helfen.

    Schöne Grüße

    Frank

    „There’s no problem too great for running away from it.“ (Charlie Braun)

    Barbara
    Senior Moderator
    Beitragsanzahl: 2766

    Hallo Yoschua,

    jepp, nach der 14253-1 ist das genau so, wie Du beschrieben hast. Du brauchst dann neben der MU noch den k-Faktor, um den MU-Bereich festzulegen (k=2 entspricht 95%, k=3 entspricht 99,97%, usw. / sind bestimmt über die Konfidenzbereiche der Normalverteilung).

    Der Hintergrund für diese Forderung ist, dass bei Prüfteilen mit Werten am Rand des Toleranzbereichs es zufällig auch mal einen niO-Wert geben kann oder auch anders herum bei einem Prüfteil knapp außerhalb zufällig einen Wert iO geben kann, weil die Messunsicherheit die Prüfentscheidung an den Rändern verwischt (anschaulicheres Bild dazu s. hier und hier für die etwas ausführlichere Version).

    Uneigentlich nutzt die Mess-Unsicherheit aus dem Kalibrierschein als Bewertung dafür, ob ein Prüfmittel in der Praxis einsetzbar ist und zuverlässig genug Messdaten liefert, nicht viel. Der Ansatz über die Toleranzverkleinerung ist ein erster Schritt. Ob der Mess-Prozess tatsächlich praxistauglich ist, kannst Du nur durch eine Prüfung in der Praxis wissen. Da hilft zwar die Erfahrung der Prüfer ein wenig weiter, nur ist das nicht alleine ausreichend.

    Spielt z. B. die Temperatur des Prüfteils eine Rolle, kannst Du im Kalibrierlabor unter klimatisierten Bedingungen mit wohltemperierten Prüfteilen supergenaue Werte mit kleiner Streuung erzeugen. In der tatsächlichen Mess-Situation ist der Raum aber vielleicht nicht ganz so gut klimatisiert (oder überhaupt nicht) und schwupps steigt die Streuung der Messdaten um ein Vielfaches und das in der Kalibrierung optimale Prüfmittel liefert in der Praxis grottenschlechte Ergebnisse bei denselben Prüfteilen.

    Um also beurteilen zu können, ob ein Prüfmittel für eine bestimmte Prüfung gut genug ist, muss der Prüfprozess in der Praxis untersucht werden. Dabei werden folgende Schritte nacheinander abgearbeitet:

    1. Auflösung klein genug? (<5-10% der Toleranz)

    2. Wiederholstreuung bei Mehrfachmessung mit 1 Praxis-Prüfteil in Praxis-Situation durch Anwender/Prüfer klein genug? (Cp>1,66 und Cpk >1,33 oder auch: Standardabweichung S bei Wiederholmessung muss kleiner als 1/50 der Toleranz sein: S< T/50)

    3. Wiederholbarkeit und Reproduzierbarkeit (Repeatability & Reproducability) bei verschiedenen Prüfteilen und Prüfern groß genug? (Gage R&R / GRR / MU <30% mindestens, <20% gut, <10% sehr gut und ndc>4).

    Wenn Du diese drei Schritte hinter Dir hast, kannst Du damit auch die endlosen Diskussionen „ich weiß was ich tue also red mir nicht rein“ vs. „die MU aus der Kalibrierung ist zu groß für die Toleranz“ beenden, denn dann hast Du Zahlen mit denen Du zeigen kannst, wie groß die Chance auf eine falsche Klassifizierung ist (iO geprüft obwohl Teil niO ist, niO geprüft obwohl Teil iO ist) und wie groß die Mess-Unsicherheit ist.

    Die Ideen aus der 14253-1 sind zwar nachvollziehbar, mir aber deutlich zu theoretisch um einen Prüfprozess in der Praxis hinsichtlich seiner Eignung beurteilen zu können.

    Und wenn Du dann feststellst, dass der Prüfprozess die Vorgaben nicht erfüllt, kannst Du zu der Daumenregel von Frank greifen und/oder die Anforderungen an den Cp/Cpk bzw. die GRR aufweichen ODER den Mess-Prozess bzw. das Prüfmittel als solches verbessern. Solange Du nicht weißt, wie groß das Prüfmittel-Unsicherheits-Problem in der Praxis tatsächlich ist, kannst Du nur spekulieren und Dir damit den Unmut der Prüfer zuziehen (was ich vermeiden würde, weil dadurch der Prüfprozess kein Stück besser wird).

    Viele Grüße

    Barbara

    _____________________________________

    Eine gute wissenschaftliche Theorie sollte einer Bardame erklärbar sein.
    (Ernest Rutherford, Physiker)

    Yoschua
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 62

    Hallo Barbara,
    danke für die ausführliche Erklärung. Die Grundprinzipien sind mir soweit klar. Mir ging es speziell auch darum, mal zu hören wie in anderen Kal.-Laboren hausinterne Kalibrierungen durchgeführt werden, hinsichtlich der Normforderung DIN EN ISO 14253-1. Ich bin mir sicher, das ich mit meine Form der Interpretation richtig liege. Was die Aussagekraft der Kalibrierung im Hinblick auf die Fähigkeit anbelangt: ich will es mal so mit einem von mir immer wieder gern angebrachten Beispiel erklären: wir im Kal.-Labor stellen, zum Beispeiel bei einem Auto, nur fest, was der Tacho nach Norm bei 100km/h tatsächlich anzeigt. Der Betreiber (Eigentümer) muss aber unter seinen Bedingungen, mit seiner Fahrweise usw. herausfinden ob er überhaupt das richtige Auto beschafft hat.. (Stichwort: Fähigkeitsnachweis).

    Nochmal ein herzliches Dankeschön . natürlich auch an Frank.. fast vergessen..

    Mit freudl. Gruß

    Yoschua

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